Bei der vollständigen Verbrennung eines Körpers auf dem Scheiterhaufen werden die Weichgewebe gänzlich zerstört, und von den Knochen bleiben nur die anorganischen Bestandteile erhalten. Ohne organische Bestandteile verliert ein Knochen jedoch seine Elastizität – er wird spröde und brüchig und zerbricht in kleinere Teile. Zusätzlich schrumpfen Knochen bei großer Hitzeeinwirkung und verformen sich. Anthropolog*innen müssen Leichenbrände daher genau unter die Lupe nehmen, um etwas über den verstorbenen Menschen zu erfahren. Neben einer Alters- und Geschlechtsbestimmung versuchen wir auch mögliche Krankheitszeichen oder Verletzungsspuren an den Knochen zu finden.
Bei Leichenbränden ist es besonders wichtig, die Knochenstückchen bei der Ausgrabung nicht noch weiter zu zerbrechen. Befand sich der Leichenbrand ursprünglich in einer Urne, ist diese häufig schon durch den Erddruck zerbrochen, und der Leichenbrand ist leichter zu bergen. Anderenfalls wird die Urne sorgfältig ausgegraben und die Lage der Knochen im Gefäß dokumentiert.
So können wir feststellen, ob die Knochen beispielsweise in einer bestimmten Reihenfolge aufgesammelt und hineingelegt wurden. Dann wird der Leichenbrand auf Reste verbrannter Beigaben und Tierknochen untersucht. Sind diese aussortiert, um sie an die entsprechenden Spezialist*innen zu übermitteln, werden die menschlichen Knochen so weit möglich anatomisch zugeordnet. Sie werden gewogen um festzustellen, wie vollständig der Leichenbrand insgesamt ist, und ob einzelne Körperregionen unterrepräsentiert sind. Ähnlich wie bei Körperbestattungen wird dann anhand zahlreicher Merkmale eine Sterbealters- und Geschlechtsbestimmung durchgeführt. Leider gelingt das bei Leichenbränden nicht immer so gut. Aber sogar an den stark zerbrochenen Knochen lassen sich noch bestimmte Krankheitsbilder ablesen.
So können z. B. Entzündungen der Beinhaut zu einem Umbau der Knochenoberfläche führen. Identifizieren wir ein Fragment eines Schienbeins, können wir es auf Spuren einer solchen Periostitis untersuchen. Spannend ist aber auch die Frage, wie gut die Knochen des Verstorbenen verbrannt sind. Bei römischen Brandbestattungen war das Ziel eine vollständige Einäscherung. Sind also einzelne Knochen nur verkohlt, ist irgendetwas nicht ganz nach Plan verlaufen.
Andrea Stadlmayr studierte Anthropologie an der Universität Wien und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Anthropologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums. Im LDDL-Projekt ist sie für die Untersuchung der menschlichen Leichenbrände zuständig. www.nhm-wien.ac.at, www.researchgate.net